Dr. Hortencia Flores ist nach knapp 15 Jahren in der Wissenschaft gegenwärtig als Geophysikerin für die Geothermie Neubrandenburg tätig. Ihren Berufswunsch prägte das Erdbeben in Mexiko-Stadt im Jahr 1985. Im Gespräch mit dem Bundesverband Geothermie e.V. spricht sie über ihren Weg von Mexiko nach Deutschland und darüber, was sie sich für die Geothermie in Zukunft wünscht.
Welche Erfahrungen in der Kindheit und Jugend haben Sie für Ihren weiteren Berufsweg geprägt?
„Ich bin in Mexiko-City geboren und aufgewachsen, als jüngere von drei Geschwistern. Meine Mutter hat in ländlichen Regionen indigene Sprachen erforscht, mein Vater war als Geologe in der Ölindustrie tätig und als Lehrer an einer Technischen Universität. Für mich war es also normal, dass Frauen arbeiten. Meine Familie war nicht religiös, obwohl Mexiko eher liberal geprägt ist. Ich bin mit Freiheit und Unabhängigkeit als bestimmenden Werten aufgewachsen. In den Ferien hat mich mein Vater manchmal mit zur Arbeit genommen und ich fand das, was er macht, interessant.“
Gab es Vorbilder, Forscher:innen oder Menschen in Ihrem Umfeld, die Sie beeindruckt und inspiriert haben?
„Mein Vater war ganz sicher ein frühes Vorbild für mich, und eine seiner Freundinnen, die auch Geologin war. Sie war die einzige Frau unter sehr vielen Männern und auf mich wirkte sie sehr selbstbewusst, sehr stark. Ich erinnere mich daran, dass sie immer sehr laut gesprochen hat. Außerdem war ich ein riesiger Fan von der Serie „Unser Kosmos“ und von Carl Sagan.“
Ihre Berufswahl hängt mit einem Erdbeben zusammen, können Sie das ausführen?
„Ursprünglich habe ich darüber nachgedacht, Paläontologin zu werden, nachdem ich meinen Vater ins Gelände begleitet habe. Dann kam das Erdbeben, meine Schule war in Trümmern und ich konnte drei Monate gar nicht in den Unterricht und danach fand dieser im Hof statt. In Mexiko-Stadt sind 30.000 Menschen gestorben. Ich habe damals beschlossen, etwas zu studieren, mit dem ich die Verletzbarkeit von Menschen durch Naturkatastrophen verringern kann. Mein Vater reiste durch das Land und klärte Menschen über Erdbeben auf, und ich wollte das auch. Nach der High-School war ich mit ihm dann bei einem Seismologen zum Abendessen eingeladen. Er riet mir, erst Geophysik zu studieren und dann einen Master sowie eine Promotion in Seismologie abzuschließen. Und genau das habe ich dann gemacht.“
Welche Kriterien haben ansonsten die Wahl Ihres Studiums beeinflusst? Wie haben Sie das Studium in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit erlebt?
„In meinem kleinen Jahrgang waren wir zwei Frauen und zehn Männer. Danach änderte man an der Universität die Ausrichtung hin zu Umwelt-Ingenieursthemen, da wurde es dann besser. Uns Frauen wurde häufig unterstellt, dass wir nur einen Ingenieur suchen, den wir heiraten können. Wir wurden nicht ernst genommen und mussten uns wesentlich mehr anstrengen als die Männer, um Erfolg zu haben. Man stand immer unter Druck. Einen Rock zu tragen war undenkbar – das wäre als Provokation interpretiert worden.“
Sie sind aber drangeblieben und haben mit dem Schwerpunkt Seismologie Ihre Doktorarbeit verfasst, was genau war das Thema?
„Ich habe untersucht, warum das Erdbeben in Mexiko-Stadt so verheerende Auswirkungen hatte, obwohl die Stadt 300 Kilometer vom Erdbeben entfernt ist. Das liegt zum Teil an dem Boden, auf dem die Stadt errichtet wurde – ein alter See, der 1640 trockengelegt wurde. Dieser Untergrund gerät schneller in Schwingung.“
Später waren Sie dann auch zunächst wissenschaftlich tätig, ehe Sie in die Wirtschaft gewechselt sind. Wie haben Sie das akademische Umfeld in Bezug auf Gleichberechtigung erlebt?
„Ich kam als Postdoc nach Deutschland, zunächst nach Jena, später war ich dann an der Universität Leipzig, am Institut für Geophysik und Geologie, und zuletzt an der TU Berlin. In Leipzig war ich neben einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin die einzige Frau. Insgesamt sind in Deutschland die Professorinnen in diesem Bereich dünn gesät. Insofern unterscheidet sich die Situation hier nicht von jener in Mexiko. Das erlebe ich auch auf Tagungen, auch hier werde ich häufig als Assistentin oder Anhang wahrgenommen, wenn ich nicht aktiv dagegenhalte.“
Was werten Sie für sich als größten wissenschaftlichen Erfolg?
„Ein Highlights war für mich, zu erforschen, in welchem Abstand zu seismologischen Stationen Windkraftanlagen aufgestellt werden dürfen. Diese Stationen müssen ein niedriges Rauschniveau haben und ihre Arbeit hat aufgrund des Monitorings von nuklearen Tests auch eine internationale Bedeutung. Als ich meine Ergebnisse einer Gruppe von Anwälten und Vertretern der Windkraftindustrie vorstellte – ich war zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Abstand von mindestens fünf Kilometern notwendig ist – war das für mich eine echte Herausforderung. Aber ich habe mich an die Fakten gehalten und die Studie wurde später eine Referenz für mehrere Bundesländer.“
Und wie war der Wechsel in die Privatwirtschaft für Sie?
„Eigentlich war es mein Traum, Professorin zu werden, aber ich habe irgendwann beschlossen, dass ich nicht mein ganzes Leben lang einem Traum hinterherjagen kann, der nichts wird. Dann habe ich die Stelle bei Geothermie Neubrandenburg gesehen und mich in der Beschreibung voll wiedergefunden. Es war eine Herausforderung, von der Wissenschaft in die Wirtschaft zu gehen, aber ich mache eigentlich genau das, was ich davor auch gemacht habe: Daten analysieren und interpretieren und den Untergrund untersuchen. Das ist ein großes Glück.“
Wie kamen Sie zur Geothermie?
„Erst mit diesem Job, also seit 2023.“
Wie würden Sie einem Laien erklären, was Geothermie ist?
„Ganz einfach: Geothermie hilft uns, die Wärme der Erde zu nutzen, um Strom oder Wärme zu erzeugen. Das Beste daran: Es ist eine saubere und nachhaltige Energie, die die Erde nicht kaputt macht und häufig kommen Anlagen bis zu 30 Jahre ohne größere Reparaturen aus.“
Welche Aspekte der Geothermie genießen zu geringe Aufmerksamkeit?
„Das ganze Feld! Das haben wir bei GTN immer wieder festgestellt: Die Menschen wissen nicht, was Geothermie ist und was sie für uns als Gesellschaft leisten kann. Wir müssen unbedingt daran arbeiten, Geothermie bekannter zu machen.“
Welchen Rat hätten Sie gerne früher in Ihrer Karriere gehört?
„Mutiger sein, einfach machen, sich seiner Fähigkeiten bewusst werden und nicht in die Falle des Impostor-Syndroms tappen.“
Erleben Sie die Geothermie als männlich geprägtes Feld – oder sind Ihre Erfahrungen ganz andere?
„Ich bin gegenwärtig bei der Geothermie Neubrandenburg im Berlin-Büro die einzige Frau unter 15 Kollegen. Die andere ist gegenwärtig in Elternzeit. Als Frau muss man in dieser Branche sehr viel offensiver sein, und das ist anstrengend.“
Wie erleben Sie den Lebensalltag in Deutschland? Was können wir Deutschen uns von Mexiko abschauen?
„Ich glaube dadurch, dass wir nicht so viele Ressourcen haben, wie die Deutschen, sind wir in Mexiko pragmatischer und effizienter. Dabei wurde Deutschland lange Zeit als Technikpionier bewundert, aber ich glaube, auf diesem Status hat man sich ein bisschen ausgeruht. Ich bin immer wieder davon überrascht, wie schlecht beispielsweise die WLAN-Abdeckung in Deutschland ist.“
Was machen Sie zum Ausgleich und in Ihrer freien Zeit?
„Ich habe in der Corona-Zeit angefangen, mit Sauerteig zu experimentieren und backe Brot, das sogar von meiner deutschen Schwiegermutter gelobt wird. Mein Partner ist Hobbybrauer und ich mache nebenberuflich Brauereiführungen. Da kann ich meine Leidenschaft, Wissen zu vermitteln, ausleben.“
Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben, wenn es darum geht, sich beruflich zu behaupten?
„Die Macht der Körpersprache nicht unterschätzen, sich gerade hinstellen, laut reden. Das wirkt auch von außen nach innen und macht einen sicherer.“