Welche Erfahrungen in der Kindheit und Jugend haben Sie für Ihren weiteren Berufsweg geprägt?
„Ich bin in Bielefeld aufgewachsen, sehr naturnah, mit dem Wald direkt hinter dem Haus. Mit meinem großen Bruder und den anderen Kindern der Straße habe ich viel Zeit draußen verbracht. Ich bin Jahrgang 1964 und damit ein Kind der Boomer-Generation. Es gab immer andere Kinder um uns herum, mit denen wir spielen konnten. Darüber hinaus habe ich viel musiziert und erst Flöte und dann Oboe gelernt. Ich hätte auch Berufsmusikerin werden können. Aber es gab auch weitere frühe Erfahrungen: Zum Beispiel eine Grundschullehrerin, die uns im Naturkundeunterricht sehr anschaulich Naturwissenschaften und sogar geologische Prozesse vermittelte. Sie hat uns im Teutoburger Wald gefaltete Gesteine gezeigt und mit uns dann mit Servietten die Gesteinsschichten nachgefaltet. In der Realschule hatte ich einen ehemaligen Entwicklungshelfer als Erdkundelehrer, der mich für das Fach Geografie und überhaupt für die ganze Welt da draußen begeistert hat.“
Warum haben Sie sich für ein Studium der Geologie entschieden?
„Auch hier hatte mein Geburtsjahr einen Einfluss: Die Konkurrenz um Stellen war damals groß, es war nicht ganz einfach, eine Ausbildung oder einen Studienplatz zu finden (überall gab es einen Numerus Clausus). Ich dachte zunächst über ein Studium der Geografie nach. Meine amerikanische Oboen-Lehrerin, die etwas enttäuscht war, dass ich nicht Oboistin werden wollte, kommentierte diesen Wunsch jedoch mit: ,Damit bist du sehr eingeschränkt und kannst eigentlich nur Lehrerin werden' und erzählte mir von ihrer Mutter, die Geologin war. Das klang für mich sehr spannend und überzeugend – und so habe ich begonnen, an der Phillips-Universität in Marburg (ein glückliches Los entschied über den Studienplatz) Geologie zu studieren.“
Wie haben Sie das Studium in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit erlebt?
„Im Jahr 1983 gab es noch Professoren, die nicht an die Plattentektonik geglaubt haben und ähnlich antiquiert war auch ihr Frauenbild! Viele ließen uns spüren, dass sie glaubten, wir säßen nur dort, um einen Akademiker zu heiraten. Wir jungen Frauen haben uns davon aber nicht beeindrucken lassen. In Liverpool, wo ich kurz darauf ein Auslandsjahr verbrachte, war das bereits anders: Da war die Geologie ein berufsorientiertes Fach, das auch von Frauen frequentiert wurde, und es war klar, dass jeder, der das Fach studierte, auch in der florierenden Ölindustrie gebraucht würde. Später in Kiel an der Christian-Albrechts-Universität gab es dann schon zahlreiche Doktorandinnen in der neu aufkommenden Paleo-Ozeanographie.“
Gab es Mentorinnen und Mentoren, die im Laufe Ihrer Karriere wichtig waren?
„Während des Studiums sicher mein Diplomvater plus die Doktoranden und Doktorandinnen, für die ich als studentische Hilfskraft gearbeitet hatte. Zu der Zeit, als ich ins Berufsleben einstieg, war eine Mentoring-Kultur noch nicht ausgeprägt. Man hatte Kollegen und hat von ihnen im besten Fall etwas gelernt. Es gab sehr viel Unterstützung, aber man musste häufig selbst die Initiative ergreifen. Als Berufseinstieg habe ich bei der Deminex GmbH in Essen in einem Traineeprogramm angefangen und zunächst in vielen verschiedenen Abteilungen gearbeitet, um möglichst viele geologische Arbeits-Techniken der Ölindustrie zu erlernen – das war natürlich hervorragend. Einen Kollegen erinnere ich da besonders: Er arbeitete an einer damals neu angeschafften Workstation zur seismischen Interpretation und er meinte zu mir: „Komm setz dich neben mich und lerne auch, wie man das macht.“ Er hat mich so für die seismische Interpretation und die sich neu entwickelnde digitale Technologie begeistert. Das war die Initialzündung, um mich in diese Richtung zu spezialisieren.“
Mit 31 Jahren Berufserfahrung sind viele Meilensteine in Ihrem Berufsleben wichtig – können Sie Ihren Weg grob umreißen?
„Nach dem Studium sofort einen so vielseitigen Arbeitsplatz wie den bei der Deminex zu finden, war damals nicht selbstverständlich. Ich war mit dem Diplom noch gar nicht fertig und habe die Stelle am schwarzen Brett der Uni in Kiel gesehen. Ich habe mich beworben und wurde tatsächlich genommen. Ich habe bei Deminex wahnsinnig viel gelernt, vier Jahre in England gearbeitet, war sowohl in der Exploration als auch in der Produktion tätig und zuletzt im Bereich „New Ventures“. Nach dem Wechsel zur Veba Öl & Gas folgte dann noch ein Jahr in den Niederlanden. Dort war ich verantwortliche Geophysikerin für die „Hanze“ Feldentwicklung. Als der E&P Bereich der Veba verkauft wurde, nahm ich das zum Anlass, mich selbständig zu machen. Ich war frisch verheiratet, mein Mann war schon in England und so fing ich an, als Consultant für die Amerada Hess Ltd in London zu arbeiten.“
Dann wurden Sie zum ersten Mal Mutter?
„Genau, und da ich in England sechs Wochen nach der Geburt direkt wieder hätte voll arbeiten sollen, war ich ehrlich gesagt ganz froh, dass wir aufgrund eines Jobwechsels meines Mannes nach Deutschland zurückgegangen sind. Dort habe ich – von einem Ort in der Nähe von Heidelberg aus – 3 Tage die Woche in Hamburg bei der RWE Dea AG gearbeitet, bis mein zweites Kind zur Welt kam. 9 Monate danach sind wir nach Singapur weitergezogen.“
Wie haben Sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als junge Mutter empfunden?
„In Singapur habe ich als Consultant bei Gaffney, Cline & Associates (GaffneyCline) halbtags gearbeitet. Dort war ich im Rahmen von Projektbewertungen und Due-Dilligence-Prüfungen im Bereich Mergers und Aquisitions tätig. In Singapur ist es üblich, live-in-Maids zu beschäftigen, die den Haushalt übernehmen, so dass es sehr viel leichter ist, zu arbeiten. Auch bei Dienstreisen stehen diese zur Verfügung. Denn es gab damals im internationalen Milieu noch keine Ganztagsbetreuung. Ich war schon häufig gehetzt und hatte Magendrücken, wenn ich später nach Hause kam als geplant. Als Consultant hatte ich immer das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Umso mehr habe ich die Pausen genossen, wenn es sie gab. Nach unserer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 2008 habe ich weiter selbständig gearbeitet, beispielsweise für die DMT GmbH & Co KG. Auch für die RWE Dea war ich on-and-off in Kairo unterwegs sowie weiterhin für GaffneyCline weltweit und für Senergy (Lloyd‘s Register Senergy, heute Vysus Group) on-and-off in Kuala Lumpur. Das Gros meiner Arbeit fand dabei von zu Hause aus statt. Die Reisetätigkeit wurde mir dabei durch den Rückhalt meines Mannes und meiner wunderbaren Schwiegereltern ermöglicht, die in der jeweiligen Zeit aus Norddeutschland anreisten.“
Gab es in Sachen Gleichberechtigung in dieser Zeit eine Entwicklung?
„Die Öl- und Gasbranche ist traditionell sehr von Männern dominiert - häufig war ich die einzige Frau im Raum. In den 90er Jahren waren die Blondinenwitze populär und davon musste ich mir einige anhören. Auch die Kaffeewünsche der Herren wurden mir bei Eintritt in einen Meetingraum spontan zugerufen. Da half nur: souverän weglächeln. Einen konkreten Nachteil habe ich aber nicht verspürt. Deminex war zum Beispiel sehr auf finanzielle Gleichberechtigung bedacht und ich durfte dort alle Aufgaben übernehmen, die männlichen Kollegen übernommen haben – zum Beispiel war ich selbstverständlich sowohl onshore als auch offshore zum Training auf Bohranlagen. Aber natürlich war es in einem sehr „traditionell männlich geprägtem“ Umfeld nicht immer ganz einfach, als Frau Gehör zu finden. Heute ist das dagegen selbstverständlicher und bei Eavor wird Gleichberechtigung absolut gelebt.“
Wie kam der Wechsel von Öl und Gas zur Geothermie?
„Zunächst: Für mich war die Arbeit als Consultant wirklich sehr erfüllend und finanziell lohnend. Das möchte ich unterstreichen, da dies für Mütter meiner Generation durchaus nicht selbstverständlich war. Nach der Corona-Pandemie sind die Ölpreise ins Negative gerutscht und meine Kinder waren zu diesem Zeitpunkt beide erwachsen, so dass ich größere Freiräume hatte. Ich wollte diese Chance nutzen, um mich neu zu orientieren. Ich hatte schon zuvor für einige Geothermie-Projekte gearbeitet und fand Geothermie grundsätzlich sehr interessant. Auf meinen jetzigen Job wurde ich dann über mein Netzwerk aufmerksam, bewarb mich und bin nun seit November 2021 bei der Eavor GmbH. Ich war fasziniert von der innovativen Idee des Eavor-Loops - und restlos überzeugt haben mich dann die ersten Monate bei Eavor. Meine Familie, besonders meine Kinder, waren ebenfalls begeistert von der zukunftweisenden Technologieund haben meinen Wechsel unterstützt.“
Wie erleben Sie den Konzern und seine Vision?
„Ich bin von Eavors Vision überzeugt – wir werden zeigen, dass es möglich ist, mit den Eavor-Loops Wärme und Strom in substanzieller Menge zu erzeugen. Damit können wir global zu einer Veränderung der Energiegewinnung beitragen. Daneben hat sich Eavor die Mentalität eines Start-ups mit flachen Hierarchien und einem wunderbaren kollegialen Team bewahrt: Es gibt immer die Möglichkeit, neue Ideen einzubringen – auch wenn sie anfangs nicht umsetzbar erscheinen. Eavor versteht sich primär als Technologie-Lieferant und lebt von Innovationen. Kreativität ist auch bei der täglichen Arbeit gefragt, schließlich läuft alles noch nicht wie in einem großen Konzern, und es macht Spaß, die Entwicklung mitzugestalten. Besonders unser Vorhaben in Geretsried ist superspannend! Es ist eine Bereicherung, mitzuerleben, wie ein derartiges Leuchtturmprojekt umgesetzt wird.“
Welche Synergieeffekte sehen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen aus der Öl – bzw. Gas-Branche für die Geothermie?
„Erstaunlich vieles lässt sich übertragen. Ob man nach Öl, Gas, heißem Wasser oder einfach nur nach einem heißen Trägergestein bohrt, die Verfahren ähneln sich stark. Man benötigt immer ein gutes Untergrundmodell, genaue Kenntnisse der wichtigsten Gesteinsparameter der potenziellen Reservoire und gute Vorhersagen zur Bohrbarkeit der Gesteine. Die Parameter sind verschieden aber in beiden Fällen muss man auch den Mut haben, zu sagen: „Bohrt hier!“ - Ich glaube, dass sich die Geothermie-Branche bisher zu sehr von der „schmutzigen“ Öl und Gas Industrie abgegrenzt hat, anstatt von den Erfahrungskurven dieser Industrie zu profitieren. „Öl und Gas“ wendet sich jetzt hin zur Geothermie und ich hoffe, dass es dadurch auch im Bereich der relevanten Studiengänge zu einer allgemeinen Belebung kommt.“
Welche Aspekte der Geothermie benötigen Ihrer Meinung nach mehr Aufmerksamkeit?
„Für mich persönlich ist Geothermie natürlich allgegenwärtig. Aber ich sehe, dass ein Teil der Bevölkerung noch skeptisch ist und wünsche mir, dass wir hier eine höhere Akzeptanz erreichen. Helfen kann sicherlich der Dialog mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Wir müssen die Vorzüge besser aufzeigen, die diese Technologie bietet. Wollen wir wirklich zurück zur Atomkraft oder überall Solarfelder und Windmühlen statt Ackerflächen? Ist Geothermie in all ihren Formen wirklich gefährlich? Sind die Kosten zu hoch im Vergleich zu Alternativen? Geothermie muss meiner Meinung nach ein selbstverständlicher Baustein der Wärmeversorgung werden, sonst kann die Wärmewende nicht gelingen.“
Was machen Sie zur Entspannung?
„Ich bin in meinem Job viel und gerne gereist und freue mich, dass ich nun auch privat auf eine Reise nach Indien, Singapur und Australien gehen kann. Diese Fernreise ist aber eher ungewöhnlich: ich entspanne sonst am besten im Allgäu. Außerdem arbeite ich gerne im Garten und auch andere Haushaltsaufgaben empfinde ich als gute Abwechslung. Da ich in Heidelberg lebe und an ca. 3 von 5 Tagen in Düsseldorf bin, habe ich auch Zeit im Zug, um mich zu entspannen, z.B. beim Lesen eines guten Buches, Telefonaten mit Freunden oder Hören eines spannenden Podcasts.“
Welchen Rat hätten Sie gerne früher in Ihrer Karriere gehört?
„Ganz wichtig für mich war: Die Schlüsselparameter jedes Projekts und die Menschen, die beteiligt waren, festzuhalten, und diese Verbindungen zu pflegen – heute ist das ja dank modernen Technologien und Netzwerken viel einfacher. Gehen Sie bewusst mit den Menschen und Kollegen um und schauen Sie nicht ausschließlich auf Abgabe-Termine (ich hatte anfangs schon das Gefühl immer besonders gut und termingerecht arbeiten zu müssen, um zu bestehen) - häufig ist das Zwischenmenschliche genauso wichtig. Manchmal verliert man diesen Aspekt vor lauter Arbeit aus den Augen.“
Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben, wenn es darum geht, sich beruflich zu behaupten?
„Die Welt heute ist eine andere, als ich sie als junge Frau erlebt habe. Aber für mich hatte folgendes funktioniert: sich spezialisieren und die eigene Nische finden. Ansonsten: Einfach mal machen – Macht kommt von Machen – und wenn etwas nicht gleich funktioniert – „Aufstehen, Krone richten, weitermachen.“