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„Frauen sind vor allem in Führungspositionen immer noch Ausnahmen“

| News

Zum Frauentag startet auf unserer Webseite eine neue Serie, die künftig jeden Freitag erscheint. Mit „Frauen in der Geothermie“ sorgen wir für mehr Sichtbarkeit weiblicher Expertinnen.

Prof. Dr. Magdalena Scheck-Wenderoth über ihren Weg an die Spitze Gestaltung: Susann Piesnack/ Foto: GFZ

Den Start macht Prof. Dr. Magdalena Scheck-Wenderoth, Direktorin des Department 4 Geosysteme am Deutschen Geoforschungszentrum (GfZ) in Potsdam. Sie ist eine renommierte Wissenschaftlerin im Bereich der Untergrund-Prozessmodellierung. Neben ihrer Tätigkeit am GfZ sowie ihrem Lehrauftrag als Professorin für Sedimentbeckenanalyse an der RWTH Aachen bekleidet sie eine Vielzahl von Ämtern in wissenschaftlichen Gremien und ist Mitglied des Nationalen Begleitgremiums für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle. Im Gespräch mit dem Bundesverband Geothermie e. V. spricht sie über ihren Weg an die Spitze.

Welche Erfahrungen in der Kindheit und Jugend haben Sie für Ihren weiteren Berufsweg geprägt?

„Ich bin ländlich und mit berufstätigen Eltern aufgewachsen, mit dem Bewusstsein, dass Männer und Frauen gleichviel erreichen können. Ich bin sehr gerne zur Schule gegangen. Geprägt haben mich meine Lehrer: Ein toller Biolehrer, der Naturwissenschaften sehr breit vermittelt hat, ein Klassenlehrer, der mich gesehen hat, eine Deutschlehrerin, die mir Biografien ausgeliehen hat, als ich die Dorfbibliothek ausgelesen hatte, Menschen also, die mich gefördert und unterstützt haben.“

Warum haben Sie sich für das Fach Geowissenschaften entschieden?

„Ich habe zunächst ein anderes Fach studiert, aber das war nicht meins. Im ersten Jahr an der Universität habe ich dann die Studierenden in den Geowissenschaften kennengelernt. Ich habe mich für das Fach eingeschrieben und war schockverliebt. Ich fand es von Anfang an spannend, mich damit zu beschäftigen, wie unsere Erde funktioniert, wie Gebirge oder Ozeane entstehen. In meiner Diplomarbeit habe ich mich mit der Kollisionszone zwischen Afrika und Europa in Sizilien befasst und habe dafür auch Geländearbeit gemacht. Da war ich schon Mutter und musste den Aufenthalt sehr straffen – Vereinbarkeit war für mich also vergleichsweise früh ein Thema.“

Wie ist es Ihnen gelungen, Ihr Studium und später Promotion mit dem Aufstieg in der Wissenschaft mit der Mutterschaft zu vereinbaren?

„Ich hatte sehr viel Unterstützung aus meiner Familie und in Berlin gab es schon immer ein gutes Betreuungsangebot. Auch die Betreuer meiner Diplom- und Doktorarbeit waren da sehr konstruktiv. Ohne all diese Unterstützung wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Ich konnte mein Kind in gute Hände abgeben, wenn ich berufliche Verpflichtungen hatte, die sich mit der Kinderbetreuung nicht vereinbaren ließen. Persönlich halte ich nichts davon, mit einem Kind auf der Hüfte einen Vortrag zu halten – das ist weder für die Mutter noch für das Kind ein Erfolgserlebnis.  Wenn es sich einrichten lässt, finde ich es sinnvoller, sich immer ganz auf eine Sache zu konzentrieren – auch wenn dann der Aufenthalt kürzer ist. Das schlechte Gewissen reist bei Müttern trotzdem immer mit.“

Ist Vereinbarkeit die größte Herausforderung für Frauen der Wissenschaft?

„Nein, Vereinbarkeit ist nicht das Hauptproblem. Die wahre Herausforderung ist, dass die Wissenschaft immer noch von Männern dominiert ist. Männer haben eine Kultur entwickelt, die nach ihren Mechanismen funktioniert und das meine ich in keiner Weise wertend. Männer verstehen Männer. Sie sprechen wie Männer, sie nehmen Frauen aus ihrer männlichen Sicht wahr. Ist eine Frau freundlich und höflich, dann wirkt sie aus männlicher Sicht häufig so, als wüsste sie nicht, was sie will. Wenn eine Frau den Raum betritt, dann steht sie erstmal in der männlichen Diskussionskultur, aber verändert diese Dynamik auch. Mit jeder Frau, die dazu kommt, steigt dieser Effekt exponentiell hin zu einem Gleichgewicht. Diese Herausforderung wird sich also von selbst erledigen, wenn wir ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen haben. Dabei will ich die männliche und weibliche Kultur nicht gegeneinander werten, denn keine der beiden ist besser als die andere. Aber ich bin überzeugt, dass ein ausgeglichenes Feld für alle das produktivste ist.“

Wie hat sich das Feld verändert?

„Es ändert sich sehr langsam, Frauen sind vor allem in Führungspositionen immer noch Ausnahmen. Das ist in Ländern wie Norwegen anders, in denen bereits vor vielen Jahren eine Quote in Führungspositionen eingeführt wurde. Im privatwirtschaftlichen Bereich verläuft dieser Prozess hin zu einem ausgewogenen Verhältnis von Männern und Frauen ebenfalls schneller. Studien haben eindeutig nachgewiesen, dass Diversität sich auszahlt, Firmen arbeiten erfolgsorientiert und wollen Geld verdienen und das geht besser, wenn die Summe der Lösungsperspektiven vielfältiger ist. In Zukunft wird der Fachkräftemangel außerdem ganz natürlich dazu führen, dass die Kompetenz unserer sehr gut ausgebildeten Frauen genutzt wird.

Gab es Mentorinnen und Mentoren, die im Laufe Ihrer Karriere wichtig waren?

„Ja, da gab es einige. Das fing bereits im Studium an, als mich einer meiner Professoren für die Studienstiftung vorgeschlagen hat. Es war aber nicht nur wichtig, gefördert zu werden und in die Netzwerke meiner Mentor*innen mitgenommen zu werden, sondern auch immer wieder eine echte Außenansicht zu bekommen und Vorbilder zu haben, von denen ich mir etwas abschauen konnte. Ich hatte sowohl weibliche als auch männliche Vorbilder, die mir gezeigt haben: Wie habe ich Erfolg, ohne mich zu verbiegen? Wie organisiere ich mich gut?  Wie kann ich Mutter sein und trotzdem Professorin werden? Auf diese Fragen findet man leichter eine Antwort, wenn es Menschen gibt, die es einem vorleben.“

Wozu forschen Sie aktuell?

Zur Geodynamik und Geoenergie der Erdkruste. Ich suche Antworten darauf, wie physikalische Eigenschaften in der tiefen Erde verteilt sind, welche Konsequenzen das für die dort herrschenden Temperaturen und Spannungen hat und wie man diese Erkenntnisse z. B. für die Geothermie nutzen kann. Mit meiner Gruppe baue ich digitale Zwillinge des Untergrunds auf verschiedenen Skalen und simuliere Prozesse, die dort ablaufen. So untersuchen wir beispielsweise, warum es wie warm unter Deutschland ist, aber auch, was mit der Grundwasserdynamik passiert, wenn der Klimawandel voranschreitet. Berechnungen zur tiefen Temperatur und zum Spannungsfeld sind außerdem für die Deformation der Erdkruste wichtig, z. B., wenn es darum geht, induzierte Seismizität bei der Untergrundnutzung zu vermeiden oder auch grundsätzlich Erdbeben zu verstehen".

Sie haben 2022 den „Award for Excellence in Research of the Association of Women Geoscientists” erhalten. Welche Rolle spielen Ehrungen wie diese, wenn es um die Sichtbarkeit weiblicher Expertise geht?

„Eine große. Frauen erhalten sehr viel seltener solche Preise als Männer, weil sie oft nicht gesehen werden. Ein weiterer Grund ist, dass die preisvergebenden Jurys zunehmend paritätisch besetzt sind und es nicht so viele Frauen gibt – so hat man häufig die Wahl zwischen Preisträgerin oder Jurorin. Ich wurde von meinem engsten Umfeld vorgeschlagen, aber von mehreren externen Kolleg*nnen unterstützt, und habe mich sehr über diese Ehrung gefreut. Ich schlage selbst auch Frauen vor, und saß auch schon in Vergabepanels. Häufig bekomme ich dann zu hören, wenn vorgeschlagene Frauen diskutiert werden: Die ist noch zu jung, zu unerfahren. Erfolg in jungen Jahren oder schnelle Wechsel des Arbeitsortes werden Frauen häufig als Manko, Männern eher positiv ausgelegt. Da ist es wichtig, im Panel die tatsächliche Leistung der vorgeschlagenen Frauen hervorzuheben. Wo schon eine Frau ist, kommen leichter weitere dazu. Und die guten Frauen in unserem Bereich können sich ihre Stellen heute aussuchen.“

Wie würden Sie Laien erklären, was Geothermie ist?

„Ich fange immer damit an: Geothermie ist die Wärme aus der Erde, von der es mehr als genug gibt. Mit der Geologie und Geophysik ergründen wir, wie wir sie anzapfen können. Dabei gibt es von flacher über mitteltiefe und tiefe Geothermie eine ganze Palette an Möglichkeiten, Menschen über Geothermie mit Wärme zu versorgen – vom Einfamilienhaus bis zum Stadtviertel.“

Und welche Rolle spielt dabei die Untergrund-Prozessmodellierung?

„Bohren ist teuer. Je besser ich vorhersagen kann, was wo im Untergrund zu erwarten ist, desto eher lässt sich der beste Bohrplatz finden. Es ist auch wichtig, vorherzusagen, was eine mögliche Nutzung für Auswirkungen hat.“

Welche Aspekte der Geothermie genießen zu geringe Aufmerksamkeit und was würden Sie sich in DE für die Geothermie wünschen?

„Ich wünschte, es gebe einen größeren Fokus auf die Tiefe Geothermie und die Wärmespeicherung. Wichtig finde ich, sich auf den Aspekt der Bereitstellung von Wärme zu konzentrieren. Viele denken, man muss mit Geothermie auch Strom erzeugen, aber das ist nicht zwingend wirtschaftlich, zumindest nicht überall. Wärme macht mehr als die Hälfte unseres Energiebedarfs in Deutschland aus, und Wärme gibt es im Untergrund zur Genüge. Würden wir nur einen Bruchteil des Geldes investieren, das wir in die Nuklearforschung gesteckt haben, dann könnten wir einen richtigen Quantensprung erreichen. Es gilt, vor allem den Untergrund gut zu erkunden, dafür brauchen wir ein Explorationsprogramm, und es gilt, die Technologien stetig so weiterzuentwickeln, dass sie effizienter werden. Wichtig sind Allianzen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Behörden, wie z.B. die Geothermie Allianz Bayern oder die Geoeenergie-Allianz Berlin-Brandenburg.“

Sie sind außerdem Mitglied des Nationalen Begleitgremiums für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle. Können Sie ausführen, was genau diese Aufgabe beinhaltet?

„Das Nationale Begleitgremium (NBG) ist ein unabhängiges, pluralistisch zusammengesetztes gesellschaftliches Gremium, das nach §8 des Standortauswahlgesetzes die Suche einem bestmöglich sicheren Standort für ein Endlager von hochradioaktiven Abfälle begleitet. Das NBG besteht aus anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die von Bundestag und Bundesrat berufen wurden. Neben diesen Expertinnen und Experten sind auch Bürger*innen Teil des NBG. Diese werden in einem Beteiligungsverfahren nominiert und von der Bundesumweltministerin/dem Bundesumweltminister ernannt. Es ist das Ziel der Mitglieder des NBGs, die Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle so vermittelnd zu begleiten, dass das Verfahren wissenschaftsbasiert, partizipativ und lernend umgesetzt werden kann. Da bislang noch etwas mehr als die Hälfte des Gebietes der Bundesrepublik als möglicher Standort in Frage kommen, gibt es einen Interessenskonflikt mit anderen Nutzungsarten des tieferen geologischen Untergrunds, z.B. der tiefen Geothermie. Praktisch bedeutet das für neue tiefe Geothermieprojekte ein aufwändigeres Genehmigungsverfahren oder sogar eine Ablehnung durch die Behörden, weil das Standortauswahlgesetz Gebiete, die als bestmöglich sicherer Standort für die Endlagerung in Betracht kommen, vor Veränderungen schützt (StandAG §21 Sicherungsvorschriften).“

Die Liste ihrer Projekte, Gremienmitgliedschaften und Publikationen ist beachtlich – wie schaffen Sie Ausgleich?

„Familie und Freunde helfen, die Bodenhaftung nicht zu verlieren und sich nicht von der Arbeit und dem Stress davontragen zu lassen. Ein paar Aktivitäten, die außer der Wissenschaft auch noch Spaß machen, sind ebenfalls wichtig, um abzuschalten.“

Welchen Rat hätten Sie gerne früher in Ihrer Karriere gehört? Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben, wenn es darum geht, sich beruflich zu behaupten?

„Davon habe ich eine ganze Reihe. Sich früh mit erfolgreichen Männern und Frauen vernetzen. Sich trauen, zu sprechen: nicht aus Angst, dass eine Frage dumm ist, bei Q&As schweigen. Den eigenen Leidenschaften folgen. Etwas, das einem leicht fällt, als Stärke erkennen – oft nimmt man das zu spät als ein Talent wahr. Gute Freunde können einem das spiegeln. Ziele formulieren and auf Leidenschaft und Stärken ausrichten. Und, ganz wichtig: Übergriffigkeiten wahrnehmen, dem eigenen Gefühl trauen, bei Grenzverletzungen sofort dagegenhalten. Keine*r muss es aushalten, wenn sich jemand im Ton vergreift. Andere Frauen, die gut sind, loben. Kinder kriegen, wenn sie kommen: Den perfekten Zeitpunkt gibt es nicht. Und kreative Lösungen finden: darin sind wir Frauen gut. Die Halbtagsstelle wurde für uns erfunden. Wir können ‚sowohl als auch‘ besser als Männer.“

Gibt es ein Reiseziel, dass Sie als Wissenschaftlerin reizen würde?

„Ich reise wahnsinnig gerne. Auf meiner Liste stehen Vietnam und Kambodscha und auch die Anden würde ich gerne sehen.“