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„Ich habe ein tierisches Verantwortungsgefühl gegenüber der Geothermie"

| Interviewserie Frauen in der Geothermie

In der Serie „Frauen in der Geothermie" interviewen wir Expertinnen aus der Branche. Dieses Mal im Fokus: Prof. Dr. Inga Moeck, Vizepräsidentin des BVG und seit Jahrzehnten prägende Stimme in der Geothermie.

Welche Erfahrungen in der Kindheit und Jugend haben Sie für Ihren weiteren Berufsweg geprägt?

Ich bin in West-Berlin aufgewachsen, im Arbeitermillieu Schönebergs, an der Grenze zu Kreuzberg. Meine Mutter war Lehrerin und mein Vater Versicherungsangestellter. In meiner Familie waren die Frauen schon immer diejenigen, die mehr verdient haben. Meine Oma ist 1914 geboren und hat als Gehilfin in einer Anwaltskanzlei ihre komplette Familie ernährt, nachdem ihr Mann im Krieg gefallen war. All diese Frauen eint, dass sie ihr Leben selbstbewusst im Griff hatten und sich von niemandem haben etwas sagen lassen. Deswegen war ich auch erstaunt, als in den Büchern, die wir in der Schule als Lehrmittel hatten, nur die Frauen für den Haushalt zuständig waren, während nur der Mann berufstätig waren. „Was sollen das für Familien sein?,“ habe ich mich gefragt.

Wie sind Sie als Stadtkind mit der Natur in Berührung gekommen?

Im Westteil der Stadt war die Angst davor, wieder in einen kriegerischen Konflikt zu geraten, sehr präsent.  Deswegen haben meine Eltern sich zur Sicherheit ein Haus in Westdeutschland, auf dem Land in Oberfranken, zugelegt, weil der legendäre Hertha BSC Spieler Erich Beer in dieser Region aufgewachsen ist. Das war ein großer Gegensatz zu Berlin: Freiheit ohne Ende, Hühner, Kühe, Katzen, Hunde, endlose Felder. Das passte perfekt. Ich war eher der Typ Matsch als Kleidchen. Die Verbundenheit zu der Natur und die zum Hertha BSC sind dabei Konstanten in meinem Leben.

Gab es frühe (weibliche) Vorbilder?

In meiner Familie ist es gelebte Normalität, dass Frauen stark und selbstbewusst sind und ihr eigenes Geld verdienen – das waren für mich keine klassischen Vorbilder, aber Menschen, die mich umgeben und geprägt haben.

Warum haben Sie sich für ein Studium Geologie entschieden?

Ich habe zur Schulzeit überhaupt nicht daran gedacht, etwas mit Naturwissenschaften zu machen, ich habe Kunst und Englisch im Leistungskurs belegt. Mein Bruder hat sogar Fossilien gesammelt, aber mich hatten Steine nicht sonderlich interessiert. Was mich aber schon früh, so ab dem 12. Lebensjahr, fasziniert hat, war die Ägyptologie. Und durch unsere regelmäßigen Reisen nach Bayern am Wochenende war mir das unterwegs sein vertraut und steckt mir bis heute in den Knochen. Ich liebe es, zu reisen. Mit 16 Jahren bin ich mit meinem Bruder in die USA gereist, mit dem Geld, das mir meine Eltern eigentlich für die Tanzschule gegeben hatten, durch die Südstaaten: Florida, Alabama und Georgia. Mit 18 konnte ich dann endlich nach Ägypten, dort war ich sechs Wochen allein unterwegs, ich war damals wie heute zwar vorsichtig, habe aber keine Angst gehabt, dass etwas passieren könnte. Mich hat die Gesellschaft dort fasziniert, das niedrige materielle Niveau bei gleichzeitiger überwiegend zuversichtlicher Mentalität der Menschen. Dort bin ich dann bei einer Ausgrabung auf einen Geologen getroffen, der mir erklärt hat, wie alt die jeweiligen Schichten sind, und so kam ich zur Geologie.

Wie ging es dann weiter?

Nachdem ich in der damaligen Kaufhauskette Hertie gejobbt habe, schrieb ich mich im Jahr 1990 an der TU Berlin im Fach Geologie ein und war dort auch mit vielen Menschen aus der ehemaligen DDR in einem Studiengang, so ein gemeinsames deutsch-deutsches Studium  war im Oktober 1990 wirklich nur in Berlin möglich. Überhaupt war das eine spannende Zeit: Ich hatte im Ostteil der Stadt drei Dutzend Verwandte, Cousins, die selber schon Kinder hatten, und als die Mauer fiel, haben sie sich zu uns aufgemacht und standen am 10. November um vier Uhr nachts in unserem Schöneberger Wohnzimmer. Mein Vater hatte nichts zum Essen da, nur zwei Kisten Bier, die waren am nächsten Morgen dann aber auch leer.

Wie war das Studium in einem naturwissenschaftlichen Fach, nachdem Ihr Fokus davor auf Kunst und Sprachen lag?

Es fiel mir erstaunlicherweise leicht, nur Chemie war gar nicht meins. Aber da man viel zeichnen musste – Fossilien, Aufschlüsse –hat mir der Fokus auf Kunst auch geholfen. Ich habe neben dem Studium auf Baustellen gearbeitet, in den Wendejahren gab es ja viele Boden- und Altlastensanierungen. Da hat dann ein älterer Bauarbeiter mal gesagt: Wat machst du denn hier alleene, so als Mädchen? Aber ich habe nur entgegnet: „Wieso denn nicht?“

Sie sind während des Schreibens ihrer Doktorarbeit Mutter geworden – wie habe Sie das erlebt?

Die Arbeit im Feld, in Portugal, hatte ich da schon abgeschlossen. Es ging also eher darum, zu schreiben. Zur Vereinbarkeit von Kind und Wissenschaft: Ich bin als junge Frau von München über Genua, Tunis und Algerien durch die Sahara bis nach Niger gereist. Dort haben die Frauen mit kleinen Kindern einfach ihr Leben gemacht, die Babys waren überall mit dabei: Auf dem Feld, auf dem Markt, auf dem Heimweg von der Arbeit, einfach in einem Tuch an den Körper gewickelt. Ich dachte mir damals: Wenn die das können, kann ich das auch.  Ganz wichtig war für mich auch die damalige Frauenbeauftragte der TU Berlin, die gesehen hat, dass ich schwanger bin, und mir gesagt hat, dass Stillen ein Menschenrecht ist. Als ich im 4. Monat schwanger war, habe ich eine Assistenzstelle angenommen und meinem Doktorvater gesagt, dass er jetzt auch Doktorgroßvater wird. Ich habe nie gezweifelt, dass etwas nicht klappen könnte und im Endeffekt  war alles auch unproblematisch.

Als meine Tochter dann da war, habe ich sie auch „mit aufs Feld“ genommen, in meinem Fall das Feld der Wissenschaft, und am Institut war man begeistert. Manchmal hat sich die technische Zeichnerin um meine Tochter gekümmert, wenn ich Vorlesungen hatte. Ich habe den fünf Jahren als Assistentin an der TU Berlin Lehre gemacht, zwei Kinder bekommen und eine Doktorarbeit geschrieben. Das war wirkliche eine schöne, sehr intensive Zeit. In den Pausen konnte ich mit meinen Kindern in den nahegelegenen Zoo. Darum erzähle ich meinen Studentinnen auch heute noch: Bleibt im Job, nehmt die Babys einfach mit, wenn ihr könnt, lasst euch nicht aufs Abstellgleis stellen.

Der Geothermie haben Sie sich erst im Rahmen Ihrer Habilitation gewidmet, können Sie ausführen, wie es dazu kam?

Ich habe mich damals als eine der ersten an der TU Berlin in die 3-D-Modellierung eingearbeitet und diese anwenden können. Ich wurde von der TU Berlin an das GFZ durch Prof. Dr. Ernst Huenges abgeworben und habe mich dort ab 2005 methodisch in der Geothermie gearbeitet. Diese Zeit, bis 2012, hat mich sehr geprägt, auch, wie Dr. Huenges seine Abteilung geführt hat, neben der Fachlichkeit sehr empathisch und väterlich, sehr nahbar. Das GFZ hat mir sehr viel ermöglicht, gerade in der internationalen Geothermieforschung.

Wie stand es in diesen frühen Berufsjahren um die Vereinbarkeit?

Es ist schon so, dass man sich zerreißt, man steht im Stau und kommt zu spät zu einer Weihnachtsfeier in der Schule, hat Schlaf- und Zeitmangel, hetzt von A nach B. Aber mein Mann ist auch Geologe und sein Arbeitsplatz war räumlich näher zu unserer Wohnung, das heißt er konnte das Abholen der Kinder oft übernehmen.

Gab es Mentorinnen und Mentoren, die im Laufe Ihrer Karriere wichtig waren?

Definitiv die Frauenbeauftrage der TU, die mich damals so ermutigt hat, im Job zu bleiben. Mein Doktorvater, der sehr unkonventionell war, Prof. Dr. Heinz Schandelmeier, der nicht nur die Wissenschaft, sondern auch das große Ganze, Gespräche über Politik, Familie und Freunde im Blick hatte.

Danach waren Sie in Kanada…

Genau, dort habe ich von 2012-2014 in Edmonton an der University of Alberta gelehrt, die Kinder waren auch dabei. Ich hatte eine sehr nette Nachbarin, Barbara, die sich rührend um die Kids gekümmert hat. Der deutschen Geothermie bin ich aber verbunden geblieben, ich habe die Bohrung in Geretsried schon wissenschaftlich begleitet, als ich noch beim GFZ war, und habe das Projekt auch von Kanada aus weiter im Blick gehabt. Als die Fündigkeit dann nicht wie erwartet war, die Münchner Rück einspringen musste und es fortan keine Absicherung der Fündigkeit für Tiefengeothermieprojekte in Deutschland mehr gab, habe ich sofort gewusst: Hier gibt es ein Wissensdefizit. Daraus muss ein angewandtes Forschungsprojekt werden, der Standort und die längste Geothermiebohrung in Deutschland mit 6006 Metern dürfen nicht zum Flop werden.

Im Anschluss zog es sie zurück nach Deutschland, sie wurden an der TU München und am GFZ Professorin,…

...bis ich hörte, dass Rüdiger Schulz in Rente geht. Ich habe ein tierisches Verantwortungsgefühl gegenüber der Geothermie und ich wollte, dass der Branche das GEOTIS erhalten bleibt. Deswegen habe ich mich beim Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik beworben. Außerdem hatte ich eine Aussicht auf eine Professur in Göttingen und wurde so dort Professorin. Und zu der Zeit wurde ich auch Schriftführerin im BVG, das passierte irgendwie alles im gleichen Abwasch.

Was hat sich in den letzten Jahren in der Geothermie getan – und was fehlt uns noch?

Ich finde es sehr wichtig, dass aus der Geothermischen Vereinigung, die eher eine wissenschaftliche Ausrichtung hatte, ein Verband für ALLE in der Branche geworden ist. Der BVG hat es geschafft, die Oberflächennahe und die Tiefe Geothermie zusammenzubringen. Ich freue mich sehr, dass die Oberflächennahe Geothermie mittlerweile so stark vertreten ist. In Berlin genießt die Geothermie dank der Geschäftsstelle immer stärkeres Gehör in der Politik. Das sind alles wichtige Erfolge!

Was uns noch fehlt ist, dass die Geschichte wirklich in der breiten Öffentlichkeit ankommt. Erdwärme ist die einzige erneuerbare Wärmequelle, die wir haben. Ohne Geothermie kann die Wärmewende nicht gelingen – was uns fehlt, ist eine Beständigkeit des politischen Willens, und das Bewusstsein dafür, dass die Geothermie nicht etwa ein kleines Add-On, sondern ein wesentlicher Bestandteil der Wärmewende ist.

Was würden Sie jungen Frauen mit auf den Weg geben, wenn es darum geht, sich beruflich zu behaupten? Welchen Rat hätten Sie gerne früher in Ihrer Karriere gehört?

Nicht so viel an sich zweifeln, seinen Weg gehen, auch, wenn es länger dauert: nicht aufgeben, weitermachen!

Was machen Sie zur Entspannung?

Für mich ist es Entspannung pur, in der Fußball-Bubble zu sein, im Stadion emotional voll dabei zu sein, zu singen, zu hüpfen, zu jubeln, wenn Hertha ein Tor schießt, oder auch zu leiden, wenn sie verlieren. Das ist ein Gegengewicht zur sehr rationalen Wissenschaft. Ich finde auch wichtig, dass wir mit Hertha B.S.C. ein bekennender, antifaschistischer Sportclub sind, so wie andere Sportclubs auch: In den Farben getrennt, in der Sache vereint, das könnte man durchaus auf die Geothermie übertragen.