Die Geschichte des Bohrens geht weit in die vorgeschichtliche Zeit zurück. Hier sehen wir die Geschichte bis etwa 1998 (Quelle Marx, siehe Literatur).
Die stürmische und hochintensive Entwicklung der Bohrtechnik seit 1975 in der westlichen Welt hat seine Ursache in der unerwarteten und starken Ölpreiserhöhung durch die OPEC und die damit verbundene Abhängigkeit der Versorgung durch die OPEC. Beide Faktoren, die Ölpreiserhöhung und die Versorgungsabhängigkeit, führten zur Intensivierung der Aufsuchungs- und Gewinnungsarbeiten in bisher unwirtschaftlichen Gebieten, wie den großen Sedimentbecken im Meer (z. B. Nordsee) sowie in klimatisch und logistischschwierigen Gebieten (z. B. Alaska). Mehr als 6000 Bohrgeräte wurden allein in derwestlichen Welt nach und nach zum Einsatz gebracht. Der Boom hielt an, da der Ölpreis bisauf über 35 $/bbl (ca. 250 €/t) kletterte. Die Erfolge der verstärkten Eigenversorgungaus Gebieten außerhalb der OPEC führte 1985 zur Gegenbewegung, indem die OPEC nunmehr durch entsprechende Billigangebote und große Mengen dafür sorgten, daß derÖlpreis auf 12 $/bbl fiel. Die Zeitspanne von 10 Jahren ist aber ausreichend gewesen, um neue Bohrtechniken zu entwickeln und riesige Vorkommen an Erdöl und Erdgas zu erschließen. Die Bohrtechnik hatte inzwischen sensationelle Verbesserungen erfahren, die nunmehr eingesetzt wurden, um selbst bei niedrigen Erlösen die Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl und Erdgas fortsetzen zu können.
Zur Erschließung von Erdöl- und Erdgasfeldern in meeresbedeckten Räumen, werden auf dem Meeresboden Bohr- und Förderplattformen fest errichtet. Von diesen künstlichen Inseln werden von verhältnismäßig kleinen Arealen (in der Größe eines Fußballfeldes) Vorkommen in 3000 m Tiefe durch gerichtete Bohrungen erschlossen. 30 bis 60 Bohrungen werden von solchen Plattformen abgeteuft und entölen eine Feldesfläche von ca. 10 km2.
Die Bohrungen müssen einem genau festgelegten Bohrlochverlauf folgen, damit es nicht zu Kollisionen mit bereits abgeteuften und verrohrten Bohrungen kommt. Dieser Verlauf der Bohrungen im dreidimensionalen Raum wurde früher jeweils aus Einzelmessungen nach 30 bis 50 m Bohrfortschritt ermittelt. Die Meßgeräte wurden dazu am Draht eingelassen und nach der Messung von Bohrlochneigung und Richtung der Neigung (Azimut) aufgeholt. Die Bohrarbeit mußte für diese Messung unterbrochen werden. Eine Steuerung des Bohrstranges war praktisch nicht möglich. Der gewünschte Bohrlochverlauf erfolgte durch Korrekturen nachdem erhebliche Abweichungen des Verlaufes vom Plan festgestellt wurden. Die Messungen wurden in einem nicht magnetisierbaren Teil des Bohrstranges ausgeführt, der typischerweise 30 m über dem Bohrwerkzeug angeordnet war.
Die neue Technik, die heute angewendet wird, heißt Messen und Datenübertragung während des Bohrens (Measurement While Drilling, MWD). Eine entscheidende Verbesserung zur Bestimmung des Richtungsverlaufes einer Bohrung wurde dadurch erreicht, daß permanent installierte Meßgeräte etwa jede Minute die Meßwerte von Neigung, Azimut und Referenzmarke senden, die übertage aufgenommen und sofort in Positionsdaten umgerechnet werden. Die Bohrarbeiten müssen während des Messens nicht unterbrochen werden. Zusätzlich erfolgen genauere Messungen während des Nachsetzens einer Bohrstange bzw. eines Bohrstrangzuges. Dabei ruht der Bohrprozeß.
Diese MWD-Technik wurde ständig weiterentwickelt und gestattet heute, außer den richtungsbezogenen Meßwerten, weitere Informationen zu messen und zu übermitteln.
Durch das Arbeiten der Dreikegelrollenmeißel werden Druckwellen ausgesendet und an tieferen Schichtflächen reflektiert. Diese können dann wieder empfangen und ausgewertet werden.
Das Steuern langer Bohrstränge setzt eine ganz neuartige Technik voraus. Die bisherige Richtbohrtechnik bestand darin, bei Abweichungen von einem vorgegebenen Bohrlochverlauf, durch Umrüsten der Bohrstrangstabilisatoren oberhalb des Meißels, Korrekturen vorzunehmen, die durch die elastische Biegung des Bohrstranges bewirkt werden.
Das Steuern hingegen setzt voraus, daß die Korrekturen bereits beim Ansatz einer Abweichung erkannt und Korrekturen vorgenommen werden können, ohne daß dazu ein Ausbau und eine Umrüstung des Bohrstranges erforderlich wird. Diese Steuerungstechnik basiert darauf, daß die Meißelachse um einen geringfügigen Winkelbetrag von beispielsweise 0, 5 Grad gegenüber der Bohrstrangachse schiefgestellt wird. Beim Drehantrieb mit einem Bohrmotor nimmt der Bohrstrang selbst an der Drehbewegung des Meißels nicht teil. Durch die Schiefstellung des Meißels wird der Bohrlochverlauf einen Kreisbogen mit beispielsweise 500 m Radius ausführen. Durch Veränderung des Kippwinkels kann der Radius des Kreisbogens größer oder kleiner ausgeführt werden. Abhängig von der Ausrichtung des „Knickstückes“ kann der Bohrungsverlauf in jede beliebige Richtung verändert werden.
Soll von einer bestimmten Bohrlochteufe an geradeaus, d. h. richtungsstabil, gebohrt werden, so wird der Bohrstrang zusätzlich von Übertage mit geringer Drehzahl (10 min-1) rotiert.
Auf die Beherrschung von Navigation und Steuerung langer Bohrstränge lassen sich viele spezielle Anwendungen der modernen Bohrtechnik zurückführen.
Werden die zumeist horizontal bzw. schwach geneigt verlaufenden erdöl- oder erdgasführenden Schichten mit vertikalen Bohrungen durchörtert, so steht nur eine kurze Zylinderfläche für den Zufluß in das Bohrloch zur Verfügung. Bei einer horizontal im Träger geführten Bohrung kann die Zutrittsfläche vervielfältigt werden. Mit Hilfe der Steuerung langer Bohrstränge und Anwendung kleiner Krümmungsradien kann eine vertikale Bohrung in eine horizontal verlaufende umgelenkt und tief in die Lagerstätte weitergeführt werden. Je größer der Radius R zwischen vertikalem und horizontalem Bohrungsabschnitt ausgeführt wird, um so länger kann die horizontale Strecke innerhalb des Trägerhorizontes gebohrt werden:
Durch Verwendung von Meßgeräten, die formationsrelevante Größen ansprechen (LWD) ist es möglich, den horizontalen Verlauf der Bohrung auch formationsbedingten Änderungen anzupassen. Hier ergab sich während des Bohrens, daß statt des angenommenen, kontinuierlich ansteigenden Verlaufes der nur 3 m mächtigen Lagerstätte eine störungsbedingte Aufschiebung vorlag. Sie konnte durch Formationsmessungen nachgewiesen werden.
Statt der Herstellung nur einer horizontalen Bohrung kann man auch, je nach Gegebenheiten der Lagerstätten, von einer Hauptbohrung aus mehrere Verzweigungen horizontal in die Lagerstätte führen oder aus der horizontalen Bohrstrecke im Träger seitliche oder übereinander verlaufende Verzweigungen ausführen (Multi lateral bzw. branch hole drilling). Wiederum ist die verläßliche Steuerung der Bohrstränge die Voraussetzung für diese Varianten.
Anwendung der Horizontalbohrtechnik in alten Erdölfeldern (Reentry-Technik) Es war naheliegend, die Horizontalbohrtechnik nachträglich auch in den sogenannten „Altfeldern“ anzuwenden, um noch nicht entölte Bereiche zu erschließen, die Förderraten zu erhöhen oder den Anteil des mitgeförderten Formationswassers zu reduzieren. Die Förderhorizonte der Altfelder liegen oft in geringer Teufe um 1000 m. Bei der Anwendung der Reentry-Technik werden in die Stahlrohre, mit denen die Fördersonden ausgekleidet sind, Fenster gefräst und aus dem vertikalen Abschnitt neue Bohrungen mit kleinem Krümmungsradius (R = 10 bis 40 m) in die Formation gebohrt.
Für diese Operationen, die meist auch kein schweres Bohrgerät erfordern, hat sich der Einsatz von Wickelrohren (coiled tubing) bewährt. Wickelrohre haben einen Durchmesser von 50 bis 80 mm und werden ähnlich einem Gartenschlauch auf große Trommeln aufgespult. Die Gesamtlänge der aufgespulten Rohre beträgt bis 8 km. Die Technik des Einsatzes von coiled tubing wurde zunächst konzipiert und entwickelt, um Reparatur- oder Stimulationsmaßnahmen in Fördersonden durchzuführen. Durch eine entsprechende Anordnung von Geräten und Verbindung mit den Wickelrohren, kann mit diesem System auch gesteuert gebohrt werden. Der entscheidende Vorteil dieser coiled tubing Technik liegt u. a. darin, daß man
In ökologischen sensiblen Schelfgebieten ist mit der Genehmigung für die Errichtung von Bohr- und Förderplattformen kaum zu rechnen. Durch extrem stark abgelenkte Bohrungen versucht man in Deutschland (Mittelplate) und England (Wytch Farm) vom Land aus die vor der Küste gelegenen Ölfelder zu erreichen. Dabei wurden bereits horizontale Entfernungen vom vertikalen Ansatzpunkt der Bohrung von 7 bzw. 10 km erreicht. Besondere Erschwernisse dieser Bohrungen sind die Bohrlochstabilität, der Austrag des Bohrkleins sowie die Aufrechterhaltung des erforderlichen Andruckes beim Bohren. Das Verhältnis von horizontaler Erstreckung zur vertikalen Teufe des Zielpunktes ist eine besondere Kenngröße. Für die genannten Beispiele beträgt sie 3,5 bzw. 7.
Der letzte Entwicklungsschritt besteht darin, selbststeuernde Systeme einzusetzen. Im Rahmen des kontinentalen Tiefbohrprojektes der Bundesrepublik Deutschland wurde dieses System für die besonderen Anforderungen eines genauen vertikalen Verlaufes der ersten 6 km der Tiefbohrung entwickelt und angewendet. Bereits geringste Abweichungen von dem vertikalen Bohrlochverlauf bewirkten selbsttätig einen Steuerungsmechanismus, der über hydraulisch angesteuerte Kufen den Bohrstrang in die vertikale Position zurückführte. Aus der erfolgreichen Lösung dieses Problems wurde das System dahingehend weiterentwickelt, daß nun ein teufenabhängig vorprogrammierter Kurs durch das System nachgefahren wird. Der Bohrlochverlauf wird mit MWD-Technik nach Übertage gemeldet und kann durch entsprechende Steuerbefehle von hier aus korrigiert werden. Das untertägige Steuersystem kann damit auch von Übertage geführt werden. Dieses stellt die erste Zweiwegkommunikation von Navigation und Steuerung dar (two-way-communication).
Die übertägigen Geräte lassen sich in Kraft- und Arbeitsmaschinen sowie deren Zubehör einteilen. Die Tiefbohrtechnik ist grundsätzlich sehr konservativ eingestellt und Neuerungen gegenüber nur aufgeschlossen, wenn die wirtschaftlichen Vorteile eindeutig sind.
Um standortunabhängig Bohrarbeiten durchführen zu können, ist der Dieselmotor als Kraftmaschine nicht zu ersetzen. Insbesondere während des Ein- und Ausbaues des Bohrstranges ist der schnelle Wechsel von Vollast und Leerlauf kennzeichnend. Der Kraftfluß ist seit 1975 ganz überwiegend vom mechanischen zum elektrischen Kraftfluß übergegangen. Druch die Leistungselektronik (SCR-Technik) wurde die Gleichrichtung von Kraftstrom und die Drehzahlregelung ohne Leonhardt-Satz ermöglicht. Daher setzte sich diese Technik schnell durch. Heute wird wegen des geringeren Wartungsbedarfes und des besonderen Ex-Schutzes ohne Fremdbelüftung zunehmend auch der Drehstrommotor mit elektronischer Steuerung (Frequenzumformer) beim Neubau von Bohrgeräten verwendet.
Der Hauptfortschritt liegt jedoch in der weitgehenden Mechanisierung der Gestängehandhabung beim Ein- bzw. Ausbau des Bohrstranges. Sie umfaßt die Fernbedienung der Abfangkeile, der hydraulischen Zangen für die Kraftver- und Entschraubung sowie der Gestängehandhabungssysteme, mit denen das Abstellen von 30 m langen Gestängezüge erfolgt. Ähnliche Systeme unterstützen den Einbau der Futterrohre, die zur Sicherung des erbohrten Bohrloches abschnittsweise eingebaut und danach zum Gebirge hin zementiert werden.
Die genannten Arbeiten werden mit den mechanisierten Systemen zwar nicht schneller ausgeführt als sie von einer erfahrenen Bohrmannschaft beim manuellen Betrieb geleistet werden kann, aber die Arbeitssicherheit wurde ganz entscheidend verbessert.
Im Bereich der Arbeitsmaschinen wurde der ortsfeste Drehtisch auf der Arbeitsbühne durch einen, an einer Lafette verfahrbaren, Kraftdrehkopf ersetzt. Dieser wird elektrisch oder hydraulisch angetrieben. Damit wird erreicht, daß man statt 10 m lange Einzelstangen 30 m lange Gestängezüge nachsetzen und abbohren kann. Ein weiterer Vorteil besteht darin, daß in jeder Position beim Aus- bzw. Einbau des Bohrstranges im Falle von Gefahr bzw. Überwindung von Engstellen im Bohrloch die Zirkulation mit Bohrspülung und das Rotieren des Stranges aufgenommen werden kann. Durch eine weitere Alternative wird die Drehbewegung beim Bohren von einem Bohrmotor bewirkt, der unmittelbar über dem Bohrmeißel angeordnet ist.
Durch die Extended reach-Technik sind Bohrlochlängen von 6 bis 10 km immer häufiger zu leisten. Um dabei genügend hydraulische Leistung am Bohrwerkzeug für die Bohrlochsohlenreinigung zur Verfügung zu haben, wurde in den letzten Jahren eine neue Generation von Spülpumpen entwickelt, die im Dauerbetrieb Drücke bis 50 MPa und dabei Pumpraten über 250 l/s leisten. Drei bis vier Aggregate dieser Pumpen werden bei Tiefbohrungen gleichzeitig eingesetzt.
Da ein Bohrstrang als elastische Welle von mehreren Kilometern Länge unter den im Bohrloch auftretenden Verhältnissen zu Schwingungen angeregt wird (axial, torsional, lateral), können elektronische Steuerungen des Drehantriebes, der Spülpumpen und der Nachlaßvorrichtung (für die Einstellung eines konstanten Meißelgewichtes beim Bohren) entscheidend dazu beitragen, daß eine optimale Vergleichmäßigung der Betriebsparameter beim Bohren hinsichtlich Drehzahl, Andruck und Pumpendruck bewirkt wird. Die negativen Folgen ohne diese Antriebssteuerungen brauchen an dieser Stelle nicht hervorgehoben zu werden.
Abschließend ist auf die Unterstützung des Bohrmeisters (Anlagenführers) hinzuweisen, die er durch die sehr zahlreich eingesetzten Rechnerprogramme für die Einstellung der Betriebsparameter erfährt und auf die Vielzahl der Kontrollanzeigen und Bildschirme im Sichtbereich seines Führerstandes. Dieselben Informationen können gleichzeitig zum Bohrstellenleiter und zur Bohrzentrale gegeben werden.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der bohrtechnische Wandel, der in den letzten 10 Jahren eine große Verbreitung gefunden hat, bedeutend und tiefgreifend ist. Die Zeit nach 1990 ist charakterisiert durch global operierende Bohrkontraktoren und Servicegesellschaften, die heute als Partner mit den großen Erdöl- und Erdgasunternehmen zusammenarbeiten und dabei gemeinsam Projekte und Entwicklungen betreiben. Der hohe ingenieurmäßige Aufwand, der beim Abteufen von Bohrungen geleistet wird, erfolgt heute zu einem erheblichen Teil durch Servicegesellschaften.
Die Geothermie profitiert von allen geschichtlichen Entwicklungen der Bohrtechnik im Wesentlichen ohne eigene Entwicklungsanstrengungen tätigen zu müssen. Dennoch gibt es einige Gebiete wo eigene Anstrengungen im Zusammenhang mit Geothermie notwendig und wünschenswert sind. Beispiele sind:
Die Beispiele zeigen Anwendungen die außerhalb des üblicherweise in der Erdöl/Erdgasindustrie benötigten Spektrums liegen, was aber gleichzeitig auch bedeutet, dass es hier wegen der eklatant kleineren Entwicklungsbudgets sehr schwer sein wird, vergleichbare Fortschritte zu erzielen.
Marx, Claus, Neue Entwicklungen zur Tiefbohrtechnik, Übertage - Untertage, Jahrbuch 1998 der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft,
zuletzt bearbeitet August 2022, Änderungs- oder Ergänzungswünsche bitte an info@geothermie.de